»Mir ist jedenfalls kein Beispiel auf diesem Globus bekannt, wo Verschuldung zu Wachstum und Beschäftigung geführt hat. Das Gegenteil ist richtig.«

– Debitismus, das unbekannte Wesen –

NEIN, „MIR“ bin nicht ich !

„Mir“ – also demjenigen, dem »kein Beispiel auf diesem Globus bekannt ist, wo Verschuldung zu Wachstum und Beschäftigung geführt hat« – ist Herr Carsten Linnemann (CDU), seines Zeichens (>>)

  • Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU (wo auch seine Aussage auch zu finden ist: hier)
  • studierter Betriebs- und Volkswirtschaftler
  • betitelt mit Dr. rer. pol. und Diplom-Volkswirt
  • Mitglied der Europa-Union Parlamentariergruppe Deutscher Bundestag
  • Mitglied des Beirates des Kompetenzzentrums für Nachhaltige Energietechnik
  • Mitglied des Beirates des Instituts für Leichtbau mit Hybridsystemen an der Universität Paderborn

Kein Beispiel auf diesem Globus bekannt,
wo Verschuldung zu Wachstum und Beschäftigung geführt hat?

Spontan, ohne Nachzudenken, so auf die Schnelle, kommt mir da bspw. ein nicht ganz unbedeutendes Land namens China in den Sinn. Wenn irgendein Land die letzten Dekaden Wachstum aufwies, dann ist es ja wohl unübersehbar China:

GDP China(>>)

Der generelle Zusammenhang Verschuldung = Wachstum ist eigentlich ebenfalls unübersehbar:

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

BRD Kreditvergabe vs. Bruttoinlandprodukt  BRD Kreditvergabe vs. Bruttoinlandprodukt

Wie das Ganze dann endet, ist hier nicht Thema. Verschuldung = Wachstum, es ist erkennbar, wenn man es denn nur will! Debitismus, das unbekannte Wesen !

Herr Linnemann als gesamtgesellschaftliches Sinnbild

Ich will Herrn Linnemann nicht zu nahe treten. Ehrlich gesagt, kann ich zu dem Herrn überhaupt nichts sagen. Mglw. ist er ein Top-Mann, mglw. ist er eine komplette Niete. Ich weiß es nicht und will ihm auch nichts unterstellen – bis auf untenstehenden Pkt. 2!!

Unabhängig davon, kann er für gewisse Teilaspekte als gesamtgesellschaftliches Sinnbild herangezogen werden:

  1. Der Vorsitzende einer Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung und Mitglied des Beirates des Kompetenzzentrums für Nachhaltige Energietechnik ist BWL’er / VWL’er. Er ist nicht Ingenieur, Techniker oder dergleichen. Nein, ein BWL’er / VWL’er muss es sein. DAS ist, ganz allgemein betrachtet, eines der großen Probleme in unserem Land. Entscheiderpositionen sind zunehmend mit „Verwaltern“ besetzt. „Funktionäre“, die sich vielleicht im Steuer- und Rechnungswesen auskennen, aber nicht den Unterschied zwischen Leistung und Energie wissen. Zugegeben eine überspitze Darstellung. Die Tendenz ist für mich jedoch überdeutlich erkennbar. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die unsägliche Mitteilung der Parteivorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock, dass »das Netz als (Strom)Speicher fungiert«. Und die übergroße Masse der Bevölkerung merkt nicht mal, was für einen Unsinn die Frau da von sich gibt.
  2. Genauso wenig merkt die übergroße Masse den Fehler in Herrn Linnemanns Aussage. Exakt umgekehrt wird ein Schuh draus!
    »Mir ist kein Beispiel auf diesem Globus bekannt, wo Verschuldung NICHT zu Wachstum und Beschäftigung geführt hat« müsste es heißen.
    Herr Linnemann hat seine Äußerung zwar unter der „Kapitelüberschrift“ Steuern und Finanzen in Bezug auf die schwarze Null des Bundeshaushalts getätigt und in diesem Zusammenhang die von „großen Teilen der wissenschaftlichen Zunft geforderten kreditfinanzierten Nachfrageprogramme“ abgelehnt, was so gesehen sogar nachvollziehbar ist. Trotzdem ist seine Aussage falsch!
    JEDE, auch die staatliche1, Verschuldung – oder besser gesagt zusätzliche Neuverschuldung (!!) – generiert zunächst zusätzliches Wachstum.2
    Gute Politik hat die Grundlage zu legen, dass sich die Unternehmen und Menschen („sinnvoll“) verschulden (wollen)! Im Detail äußerst diffizil, dem grundsätzlichen Verständnis nach – und darum geht es bei solchen Äußerungen – jedoch ganz simpel. Aussagen, wie die von Herrn Linnemann, führen uns deutlich das gesamtgesellschaftliche Defizit im Verständnis unseres Systems vor Augen.

Etwas despektierlich und undifferenziert ausgedrückt: Ein blindes, tumbes Volk3 wird von blinden, tumben Politikern regiert. Eine unglückselige Melange, deren negative „Wirkungen“ insbesondere dann voll zu Tage treten, wenn es hart auf hart kommt. Und das wird es demnächst wieder!

 


1Was unschwer daran zu erkennen ist, dass die „Konsumausgaben des Staates“ voll in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts einfließen, gleichgültig, ob mit Steuergeldern oder Verschuldung „konsumiert“ wird. D. h., jeder zusätzliche Cent an staatlicher Verschuldung treibt das BIP in die Höhe (=Wachstum).

2 Das Staatsverschuldung im langfristigen (negativen) Effekt nicht gleichzusetzen ist mit privater Verschuldung, steht auf einem anderen Blatt. Und ich glaube kaum, dass Herr Linnemann diesen „feinen“ Unterschied auf dem Schirm hatte. Meiner Interpretation nach, war seine Aussage generell angelegt. Andernfalls hätte er es nicht in der Art Formulierung, wie er es getan hat!

3 Was für Attribute soll ich für ein Volk sonst vergeben, dass außer der Krake Google offensichtlich keine Suchmaschinen kennt und im Jahr 2018 Daniel Küblböck und Jens Büchner als zweit- bzw. drittmeist gesuchte Begriffe überhaupt bei Google verantwortet? Im Ernst, Daniel Küblböck und Jens Büchner? Gibt es etwas weniger Wichtiges als irgendwelche „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ „““Koryphäen“““? Das solchen Belanglosigkeiten eine dermaßen große Wichtigkeit zugeordnet wird, spricht Bände!

Betritt man an einem ganz normalen Tag eine Münchener Trambahn, sieht es im Waggon aus, als ob viele junge Menschen gerade einer kardiologischen Intensivstation entflohen wären. Während draußen die Pinakotheken stehen und der hellenische Prunk des Königsplatzes leuchtet, starren die jungen Leute ganzkörperverkabelt auf kleine flache Geräte. Immerhin haben sie derentwegen vor dem Applestore bei strömendem Regen eine halbe Woche im Campingzelt verbracht. Nichts ist da zu sehen von digitalen Revoluzzern, zeitgeistigen Bastillestürmern oder mit allen Wassern gewaschenen Guerilla-Piraten.
Es sind lediglich über elektronische Schrebergärten gebückte Spießbürger, über deren existentielle Unsichtbarkeit und Realitätsferne sich inzwischen schon konservative Hochschulprofessoren beschweren. Richtig lebendig werden die Diskussionen indessen, wenn es um neue Software für die hochgetunten Gadgets geht, die ja auch sonst unendlichen und hochbrisanten Insidergesprächsstoff hergeben. Und empören würde sich die digitale Boheme höchstens, wenn Helmut Schmidts Russe uns den Strom abschaltet.
(Aus »Freiwild – Über Zähmung, Verwahrlosung und Niedergang des Journalismus« von Wolf Reiser)